Das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München führt seit 2020 bei Bypass-Operationen die endoskopische Gefäßentnahme (endoscopic vessel harvesting, EVH) durch und ist von dem Verfahren überzeugt. „In unserer Klinik werden derzeit jährlich etwa 550 isolierte oder kombinierte Bypass-Operationen vorgenommen. Mittlerweile entnehmen wir bei fast 90 % der Patienten die dafür notwendigen Gefäße komplett endoskopisch, unabhängig von Alter und Ausmaß der Erkrankung“, berichtet Prof. Dr. med. Christian Hagl, Leiter der Herzchirurgischen Klinik. „Am LMU Klinikum ist es bereits nach zwei Jahren gelungen, das Verfahren bei mehr als 400 Patienten anzuwenden, und das trotz COVID-19. Das ist wirklich ein Erfolg“, freut sich Dirk Grennigloh, Product Sales Manager CS.
Im Gegensatz zur konventionellen offenen Gefäßentnahme, die mit einem großen Schnitt, meist über das gesamte Bein bzw. den gesamten Unterarm des Patienten, einhergeht, wird bei der EVH die Armarterie (Arteria radialis) und/oder Beinvene (Vena saphena magna) durch eine kurze Inzision endoskopisch präpariert und entnommen. „Laut Guidelines wird die endoskopische Graftentnahme empfohlen, da diese unter anderem mit einer signifikanten Reduktion von Wundheilungsstörungen und Komplikationen einhergeht und weniger traumatisch ist“, führt Prof. Hagl aus. „Im Vergleich zur konventionellen Entnahme oder der oftmals üblichen Brückentechnik, hat man mit dem Endoskop eine sehr gute Vergrößerung und Visualisierung des Situs und kann präzise jeden Ast präparieren. Die primäre Qualität des Grafts kann dadurch deutlich besser erhalten werden“, ergänzt Dr. Polyxeni Vlachea, Assistenzärztin und Leiterin des EVH-Projektes am LMU Klinikum.
Schnellere Wundheilung und deutlich weniger Komplikationen
Nicht nur die Anwender am LMU Klinikum, sondern auch die Patienten sind überzeugt. Diese profitieren postoperativ von weniger Wundheilungsstörungen, weniger Schmerzen, einer schnelleren Mobilisation und kleineren Narben. Dr. Vlachea freut sich über die sehr guten Ergebnisse: „Bei der Entnahme können die Beine weitgehend geschont werden, der Blutverlust ist geringer, Hämatome werden nahezu komplett vermieden. Da der Schnitt nicht knieübergreifend erfolgt, haben die Patienten deutlich weniger Schmerzen und weniger neurologische Probleme. Auch die Wunden heilen viel schneller. Die Patienten sind schneller mobilisierbar und in der Regel nach 6-7 Tagen wieder fit.“
Für Prof. Hagl ist klar: „Die Vermeidung einer Wundheilungsstörung muss bei jedem Patienten höchste Priorität haben. Es ist beindruckend zu sehen, dass deutlich weniger Sensibilitätsstörungen im Bereich des Unterarms aufgrund der endoskopischen Entnahme der Arteria radialis auftreten. Taubheitsgefühle am Daumen sehen wir nur noch sehr selten. Auch kosmetische Aspekte spielen durch die Vermeidung von bis zu 30 cm langen Narben am Unterarm eine Rolle“.
Etablierungskonzepte sind das A und O
Sechs Monate hat die Einführung gedauert. Zum Erfolg des Projektes haben letztlich viele Faktoren beigetragen. „Ein hervorragendes Device und ein umfassender Support sind Voraussetzung für eine gute Qualität. Leider ist dies oft nicht gegeben und man wird bei Problemen allein gelassen. Häufig hält das Device nicht das, was es verspricht oder der Support endet direkt nach dem Verkauf. Getinge hat in vorbildlicher Weise ein vollumfängliches Konzept auf die Beine gestellt. Somit konnten wir gemeinsam ein Programm entwickeln, welches von Herrn Grennigloh in beeindruckender Weise unterstützt wurde. Wir sind mehr als zufrieden“, resümiert Prof. Hagl.
Das bewährte 3-Phasen Etablierungskonzept von Getinge besteht aus den Elementen Hospitation in einer Referenzklinik, EVH-Kurs in der Anatomie und anschließendem Proctoring in der Klinik. Aufgrund der Einschränkungen durch die COVID-19 Pandemie konnten die Trainings jedoch nicht wie gewohnt stattfinden. „Das zeigt umso mehr, wie überzeugt das LMU Klinikum von der EVH-Therapie ist. Grundvoraussetzung zur erfolgreichen Umsetzung des Konzeptes ist natürlich immer, dass die Verantwortlichen und alle Akteure im OP das Verfahren unterstützen und eine Lernkurve akzeptieren. Das hat in der Abteilung von Prof. Hagl hervorragend funktioniert“, erläutert Dirk Grennigloh.
Dr. Vlachea ergänzt: „Der EVH-Kurs wird von erfahrenen Klinikern durchgeführt. Deren Konzepte bieten wertvolle Anregungen zur praktischen Umsetzung, gerade am Anfang. In den Webinaren und Foren findet ein sehr guter Austausch zu Best Practices statt. Getinge schafft es, dass man am Ball bleibt und damit eine gute Qualität generiert.“
Das Team muss mitspielen
Ohne eine engagierte und begeisterte Projektleitung und die volle Unterstützung der Klinikleitung funktioniert die erfolgreiche Implementierung eines neuen Verfahrens jedoch nicht. „Die Aufgabe des Leiters ist es, dem Projektverantwortlichen Freiraum zu schaffen und bereit zu sein, Zeit zu investieren. Die größte Herausforderung ist es, das Team bei der Stange zu halten. Sie müssen wirklich alle überzeugen und ins Boot holen, damit so eine neue Methode akzeptiert wird“, so Prof. Hagl. Auch Geduld war gefragt: „Es dauert am Anfang zwei Stunden, wenn Sie Pech haben. Das darf und muss auch so sein. Man merkt dann relativ bald, dass es besser und schneller geht. Selbst unsere notorischen Kritiker sind mittlerweile ziemlich beeindruckt.“
Die Etablierung eines Standards, die richtige Platzierung der Kollegen im OP sowie die Umsetzung der Gefäßentnahme in einem adäquaten zeitlichen Rahmen mit entsprechender Qualität waren anspruchsvoll. „Die enge Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Schwestern und Getinge sowie unsere Lernbereitschaft haben uns hier sehr geholfen“, erinnert sich Dr. Vlachea.
Die Gefäßentnahme wird am LMU Klinikum ausschließlich von Assistenzärzten durchgeführt. In einer Klinik mit hoher Fluktuation sollte zusätzlich ein Physician Assistent/in oder ein Operationstechnischer Assistent/in eingearbeitet werden, der/die länger an der Klinik bleibt. „Einer muss es können und wenn es läuft, wird zeitnah ein neuer Kollege angelernt. Mittlerweile sind es bei uns vier Ärzte, die eingearbeitet wurden und die Entnahme sicher durchführen. Ausfälle durch schlechte Graftqualität hatten wir erfreulicherweise extrem selten. Es ist wichtig, genügend Personal zu trainieren, sodass die Anwendung an 7 Tagen rund um die Uhr möglich ist. Zudem besteht die Herausforderung darin, die Abläufe zu optimieren, um unter Verwendung nur eines Entnahme-Sets sowohl die Entnahme der Arteria radialis als auch der Vena saphena magna zu realisieren“, erläutert Prof. Hagl.
Gute Perspektive für Assistenzärzte
Endoskopische und minimalinvasive Verfahren werden weiterhin an Bedeutung gewinnen. Daher bietet die EVH für Assistenzärzte eine sehr gute Möglichkeit, sich in der Klinik mit neuen Fähigkeiten zu etablieren und sich gleichzeitig die Grundlagen für künftige videoassistierte Prozeduren anzueignen. „Den Ansatz der endoskopischen Gefäßentnahme beherrschen selbst unter den erfahrenen Fach- und Oberärzten nicht viele“, ermutigt Prof. Hagl, „die jungen Kollegen haben uns sozusagen schon rechts überholt, weil sie bereits sehr früh endoskopisch operieren lernen. Frau Vlachea ist ein gutes Beispiel. Sie leitet das Projekt und arbeitet bereits jetzt als Proctorin, was man durchaus als ersten Karriereschritt in jungen Jahren bezeichnen kann. Das muss man erst einmal schaffen. So etwas spricht sich herum und inspiriert andere. Der Effekt unter den „jungen“ Kolleginnen und Kollegen in meiner Klinik war beeindruckend.“ Das Erlernen neuer manueller Fertigkeiten wird von Dr. Vlachea besonders geschätzt: „Ich kann meine Hände ganz neu benutzen. Das ist etwas ganz Großartiges. Vorher war meine linke Hand ziemlich statisch, das ist jetzt anders. Ich kann mit beiden Händen unabhängig agieren und gleichzeitig meine Handgriffe über den Monitor koordinieren, ohne direkt auf meine Hände zu schauen.“
Es hat sich gelohnt
Qualitativ hochwertige Bypass-Chirurgie hat nach wie vor ihre Daseinsberechtigung. Die Versorgung mit chirurgischen Bypässen ist bei komplexen Pathologien oft die bessere Alternative zur perkutanen Koronarintervention bzw. kann häufig auch mit dieser kombiniert werden. Zahlreiche Veröffentlichung zeigen, dass die Kombination minimalinvasiver Techniken mit möglichst vielen arteriellen Grafts für die Resultate von entscheidender Bedeutung sind. Das Fazit von Prof. Hagl ist eindeutig: „Wenn ich die Ergebnisse und die Wunden meiner Patienten sehe, freue ich mich jedes Mal und bin sicher, dass es sich gelohnt hat, auch wenn die Wartezeit während der Entnahme das eine oder andere Mal zermürbend imponierte, aber letztlich müssen wir die Lernkurven akzeptieren. Die endoskopische Gefäßentnahme ist ohne Zweifel die bessere Therapie. Durch die Reduktion von Komplikationen verringert sich auch die Morbidität. Unser erklärtes Ziel ist, dass wir in 100 Prozent der Fälle die Gefäße endoskopisch entnehmen. Wir müssen mit der Zeit gehen, sonst werden wir bald keinen Patienten mehr überzeugen, sich operieren zu lassen.“ An der Erstattung des zeitlichen und technischen Mehraufwandes und einer Berücksichtigung innerhalb der Fallpauschale muss jedoch gearbeitet werden. „Schließlich ist die endoskopische Entnahme ja inzwischen Standard, wie auch in vielen anderen Fachbereichen.“